Eine Ihnen nahestehende Person ist von sozialen Ängsten betroffen und Sie wollen helfen. Nun beschäftigt Sie die große Frage nach dem „Wie?“.
Dann kann der folgende Überblick für Sie von Nutzen sein. Was der Überblick allerdings nicht enthält: Einen konkreten Rat, wie Sie der Ihnen nahestehenden Person helfen können.
Kein Angsterleben gleicht dem anderen, so wie kein Mensch dem anderen gleicht. Die Expertise für die eigenen Bedürfnisse liegt daher stets bei der betroffenen Person selbst. Vielleicht hat sie sich schon mit ihren Ängsten auseinandergesetzt und ein gutes Gespür dafür erarbeitet, welche Art der Hilfe für die Bewältigung ihres Alltags förderlich ist. Dann wird sie Ihnen auf die Frage: „Was brauchst du von mir?“ eine Antwort geben können. Dabei kann diese Antwort morgen ganz anders ausfallen als heute. Angst ist dynamisch. Oftmals wird Hilfe aber auch von Menschen benötigt, die ihr Angsterleben selbst gerade erst verstehen lernen und ihre Bedürfnisse noch gar nicht zielsicher zu erspüren und benennen gelernt haben. Dann kann es nützlich sein, einen Blick auf die Erfahrungen von anderen Menschen zu werfen, die von sozialen Ängsten betroffen sind.
Was der folgende Überblick enthält: Einen Einblick in Formen der Unterstützung, die für andere von sozialen Ängsten betroffenen Menschen als hilfreich erlebt werden.
Insgesamt 21 Personen mit sozialen Ängsten haben uns im Rahmen des Projektes DISA an ihren persönlichen Erfahrungen teilhaben lassen. Die Ergebnisse finden sich weiter unten in den Darstellungen. Bei der Suche nach stimmigen Hilfsmöglichkeiten sollte jedoch eines stets im Hinterkopf bleiben: Hilfe kann psychisches Wachstum fördern, sie kann psychisches Wachstum aber auch behindern. Sie möchten verstehen, wie Hilfe für psychisch erkrankte Menschen hinderlich werden kann? Dann macht es Sinn zunächst darüber nachzudenken, auf welche Weise aufkommende Ängste zwischenmenschliche Beziehungen verändern können. Seien Sie eingeladen, dabei in möglicherweise ungewohnten Bahnen zu denken.
Was Sie wahrscheinlich gewohnt sind: Festzustellen, wie sich die sozialen Ängste der Ihnen nahestehenden Person negativ auf ihre gemeinsame Beziehung auswirken. Zum Beispiel weil Streitigkeiten daraus entstehen oder ein Abebben des gemeinsamen Soziallebens.
Was Sie womöglich weniger gewohnt sind: Festzustellen, wie sich die sozialen Ängste der Ihnen nahestehenden Person positiv auf ihre gemeinsame Beziehung auswirken.
Für diejenigen, denen dieser Satz zunächst seltsam vorkommt, ein fiktives Beispiel: Anna, 21 Jahre, erlebt zunehmend soziale Ängste in Gruppensituationen. Sie zieht sich zurück, ihre Eltern nehmen ihre hohe Belastung wahr. Sie möchten helfen und beginnen, Anna zunehmend Verantwortung abzunehmen. Sie ermutigen sie nicht weiter aus dem Elternhaus auszuziehen, organisieren ihren Studienalltag und schenken ihr deutlich mehr Aufmerksamkeit als vor der Angsterkrankung. Neben einer Reihe von Nachteilen bringen die sozialen Ängste Anna und ihren Eltern nun auch einige Vorteile ein. Vorteile für Anna: Sie trägt deutlich weniger Verantwortung und erlebt eine starke Verbindung zu ihren Eltern. Vorteile für die Eltern: Sie können ihrer fast erwachsenen Tochter wieder viel näher sein, spüren Verbundenheit, werden gebraucht. Vielleicht lenkt die gemeinsame Sorge um ihr Kind die Eltern auch erfolgreich von anderen Problemen ab. Fazit: Der sogenannte Krankheitsgewinn ist groß, sowohl für Anna als auch für die Eltern. Annas Angstsymptomatik wird stärker. Die Angst leistet schließlich einen elementaren Beitrag für die ganze Familie, sie wird gebraucht. Ohne sich dessen bewusst zu sein, übernimmt Anna den Auftrag das Ausbleiben von Überforderung der gesamten Familie abzusichern und auf diese Weise das Familiensystem zu stabilisieren. Diesen Auftrag erfüllt sie, indem sie weiterhin soziale Ängste hat.
Dieses Beispiel veranschaulicht, wie manche Formen vollkommenden wohlmeinenden Hilfeverhaltens soziale Ängste unabsichtlich verstärken können. Hinzu kommt, dass ein “Zuviel” an Hilfe auch folgendermaßen aufgefasst werden kann: „Ich mache diese Dinge für dich, weil du das nicht schaffst. Du bist dafür nicht stark genug.“
Dennoch ist das Erleben von sozialer Unterstützung einer der wichtigsten Schutzfaktoren bei der Bewältigung psychischer Erkrankungen und daher elementar für das Erarbeiten von psychischer Stabilität. Hilfsangebote sollten aber stets dem Ziel dienen, den hilfebedürftigen Menschen in Kontakt mit seiner stets vorhandenen (aber zuweilen gehemmten) inneren Kraft zu bringen, anstatt ihm Gefühle oder Vorteile des Schwachseins zu vermitteln.